Mit 800.000 km/h um das galaktische Zentrum

Geschwindigkeitskontrolle auf der Milchstraße

Die Milchstraße ist unsere Heimatgalaxie und besteht aus Milliarden von Sternen, die das galaktische Zentrum umrunden. Die Geschwindigkeit der Sterne ist nicht überall gleich, sondern hängt von ihrer Entfernung zum Zentrum ab. Zwischen den Sternen finden wir Staub und Gaswolken, die zum Teil aus Wasserstoff bestehen. Wasserstoff sendet Radiowellen aus, mit denen wir die Rotationsgeschwindigkeiten bestimmen können. Diese Wellen sind für das menschliche Auge unsichtbar und werden mit Radioteleskopen gemessen.

Dem rotierenden Universum auf der Spur

Wie dreht sich die Milchstraße um ihre eigene Achse? In diesem Forschungsauftrag kannst Du untersuchen, wie die Geschwindigkeiten von Sternen gemessen werden können und wieso die Milchstraße kein normales Sternenkarussell ist.

Autor

Autor dieses Forschungsauftrags ist P.D. Dr. Jürgen Kerp vom Argelander-Institut für Astronomie der Universität Bonn. Wenn Du mehr über astrophysikalische Forschung erfahren möchtest, kannst Du hier die Internetseite des Argelander-Instituts für Astronomie besuchen.

Geschwindigkeitskontrolle auf der Milchstraße
© Ulrike Syrakas / Uni Bonn

Hinweis

Wir weisen darauf hin, dass die Durchführung der Forschungsaufträge einschließlich der damit verbundenen Risiken in eigener Verantwortung erfolgt. Die Universität Bonn übernimmt keine Haftung für eventuell im Rahmen der Durchführung entstehende Schäden. Minderjährige sollten die Experimente nur nach Rücksprache mit ihren Erziehungsberechtigten oder unter Aufsicht einer Lehrkraft durchführen.

In Kürze

Zeitrahmen:

ca. 45 min.

Zielgruppe:

Besonders empfohlen für die Unter- und Mittelstufe.

Benötigte Materialien:

    • Ein digitales Endgerät zum Arbeiten mit Internetzugang (PC, Mac, Laptop, Tablet, etc.).
    • Optional: Stift und Papier

    Einleitung

    Mit rund 800.000 km/h umrundet unser Sonnensystem das Zentrum der Milchstraße. Doch die Geschwindigkeit der Sterne ist nicht überall gleich, sondern hängt von deren Entfernung zum galaktischen Zentrum ab. In diesem Experiment nutzt Du die 21-cm Linie des neutralen atomaren Wasserstoffs, um die Rotationsgeschwindigkeit und Struktur der Milchstraße zu vermessen.

    Durch Wände blicken

    Das leuchtende Band der Milchstraße dominiert den dunklen Sternenhimmel. Dass dieses diffuse Licht durch viele Milliarden Sterne in sehr großen Entfernungen erzeugt wird, ist erst seit rund 100 Jahren bekannt. Dieses sichtbare Licht erlaubt es uns jedoch nicht, die Struktur und Bewegung der Milchstraße zu erforschen. Dies liegt daran, dass bereits sehr geringe Mengen an sogenanntem interstellarem Staub es stark schwächen. Im Radiobereich bei Wellenlängen, von einigen Millimetern bis hin zu Metern, ist dieser negative Einfluss des interstellaren Staubs jedoch zu vernachlässigen. Die Wellenlängen sind im Radiobereich viel größer als die Staubkörner und durchdringen sogar Materie. Jeder der ein WLAN nutzt weiß dies. Denn das Signal des Routers durchdringt Wände und Decken und versorgt jeden Winkel des Hauses mit einer Internetverbindung. Der Router nutzt dazu Radiowellen.

    Die 21-cm Linie

    Das mit deutlichem Abstand häufigste Element im Kosmos, der atomare Wasserstoff, erzeugt in seiner neutralen Form (Proton und Elektron sind aneinandergekoppelt) im kalten interstellaren Gas die berühmte 21-cm Linie. 21 Zentimeter beträgt die Wellenlänge, dies ist der Abstand zwischen zwei aufeinander folgenden Wellenbergen. Diese Strahlung durchdringt den dichtesten Staub und wurde erstmals in den 1950er Jahren beobachtet. Unmittelbar nach dieser wichtigen Entdeckung wurde die gesamte Milchstraße vermessen. Einen Teil dieser Pionierarbeit wiederholst Du im Rahmen dieses Experiments. Die spektralen Daten zeigen, wie sich die Milchstraße dreht. Sie zeigen des Weiteren, dass die Milchstraße in ihrem Inneren einen Balken besitzt. Außen schließen sich die Spiralarme an. Auch diese Information ist in den Spektren, die Du auswertest, enthalten.

    Die Rotationskurve

    Die gemessenen Geschwindigkeiten der Sterne in Abhängigkeit vom Abstand zum galaktischen Zentrum ergeben ein Diagramm, das wir Rotationskurve nennen. Diese Messungen können darauf hinweisen, dass die Masse in Galaxien anders verteilt ist als in Planetensystemen, von denen wir mittlerweile viele tausend studieren konnten. In einem Planetensystem ist der absolut größte Anteil der Masse im Stern selbst konzentriert. Dies führt zu einer Keplerschen Rotation: innen schnell und außen immer langsamer. Doch bei Galaxien ist ein solches Geschwindigkeitsmuster nur in den seltensten Fällen zu beobachten.

    Die Sterne fahren Karussell

    Es ist ein wunderschöner Tag, um mit einem Karussell zu fahren. Die Sonne scheint und Du hängst unbewegt in Deinem Sitz und lässt Deine Füße baumeln. Doch sobald sich das Karussell zu drehen beginnt, wirst Du nach außen und zudem immer stärker in den Sitz gedrückt. Die Ketten spannen sich. Diese halten Dich fest auf dem Karussell. Genau wie Du im Karussell, so drehen sich auch die Sterne um das Zentrum der Milchstraße. An der Stelle von Ketten hält die Schwerkraft die Sterne auf ihrer Bahn. Die Sonne erreicht dabei eine ganz beachtliche Geschwindigkeit von rund 800.000 km/h. Doch sind alle Sterne gleich schnell unterwegs, oder sind einige schneller oder langsamer?

    Gas geben zwischen den Sternen

    Um diese Frage zu beantworten, müssen wir Messungen an verschiedenen Stellen in der Milchstraße durchführen. Das ist recht einfach mit einem Radioteleskop, das die 21-cm Linie des neutralen atomaren Wasserstoffs messen kann. Wasserstoff ist DAS Element im Universum. Alle Sterne bestehen zu 90% aus Wasserstoff, auch unsere Sonne. Etwas Wasserstoff ist aber noch nicht in den Sternen gebunden. Es befindet sich zwischen den Sternen, daher nennen wir es auch interstellares Gas (Gas zwischen den Sternen). Die Menge an interstellaren Gas ist heute immer noch so riesig, dass wir es leicht messen können. Wir interessieren uns aber nicht für die Gasmenge, sondern für die Geschwindigkeit, mit der sich das Gas gemeinsam mit den Sternen um das Zentrum der Milchstraße dreht.

    Galaktische Radarfalle

    Doch wie messen wir die Geschwindigkeit? Stell Dir ein hupendes Auto vor, das an Dir vorbeirast. Was passiert? Nähert sich das Auto, so wird die Hupe lauter, aber ihr Ton auch höher. Entfernt sich das Auto wieder, so wird die Hupe leiser, ihr Klang aber auch tiefer. Die Änderung der Tonhöhe wird durch den Doppler-Effekt beschrieben. Kommt das Auto auf Dich zu, so werden die zeitlichen Abstände kürzer, mit denen die Schallwellenberge und -Täler Dein Ohr erreichen. Entfernt sich das Auto, so werden deren Abstände größer. Mit einem Radargerät misst die Polizei die Geschwindigkeit des Autos. Dazu nutzt das Radargerät auch den Doppler-Effekt. Das Radargerät macht aus der Tonhöhe also eine Geschwindigkeit. Unser Radioteleskop macht genau das Gleiche.


    Los geht's

    Dein Auftrag besteht nun ganz einfach darin, herauszufinden, welche die höchste Geschwindigkeit bei einer Messung ist. Dazu betrachtest Du ein sogenanntes Spektrum. Ein Spektrum zeigt Dir, welche Geschwindigkeit wie oft gemessen wurde. Die Spektren verändern sich von Position zu Position. Das interessiert uns hier jedoch nicht. Wir konzentrieren uns allein auf die höchste positive Geschwindigkeit im Spektrum. Mit dem bloßen Auge können wir diese ziemlich gut bestimmen, da unser Auge sehr gut das Signal von dem statistischen Rauschen unterscheiden kann. Für die Forschungsaufträge haben wir die Spektren und eine Tabellenvorlage weiter unten in die Website eingebunden.

    Markiere z.B. mit dem Cursor die Stelle mit positiver Geschwindigkeit im Spektrum, bei der das Signal kleiner wird als das Rauschen. Dieser Messwert ist die maximale Geschwindigkeit vmax. Notiere diesen Messwert in der Tabelle bei der entsprechenden galaktischen Länge, dem sogenannten l-Wert.

    Für jeden l-Wert findest Du in der Tabelle den entsprechenden Wert mit dem Abstand r des Messpunktes vom galaktischen Zentrum in Lichtjahren. Zudem musst Du noch die abgelesene Geschwindigkeit ein bisschen korrigieren, denn unser Radioteleskop bewegt sich selbst ja auch mit der Erde und der Sonne um das Zentrum der Milchstraße. Daher müssen wir zu dem abgelesenen Wert noch den Korrekturwert vkorr addieren. Dieser Korrekturwert hängt nur von der galaktischen Länge und der Geschwindigkeit der lokalen Sonnenumgebung um das galaktische Zentrum ab: vkorr = 220 km/s · sin l

    Trage nun auf der x-Achse den Abstand vom Zentrum und auf der y-Achse die korrigierten Geschwindigkeiten ( v = vmax + vkorr ) auf, dann hast Du das Ergebnis Deines Experiments vor Augen, die Rotationskurve der Milchstraße. Nun siehst Du wie die Milchstraße sich dreht. Diskutiere Dein Ergebnis mithilfe der untenstehenden Abschlussdiskussion.

    Spektren

    Die folgenden Spektren sind mit einem kleinen Radioteleskop von nur 2,3-m Durchmesser im November 2022 gewonnen worden. Selbst solch kleine Radioteleskope erlauben es, die Milchstraße als Ganzes zu erforschen. Es sind nicht immer die größten Teleskope der Welt nötig, um grundlegendes Wissen zu gewinnen.
    Oben links ist jeweils die galaktische Länge in Grad angegeben.

    Tabelle

    Gal. Länge l
    r [Lj]
    vkorr [km/s]
    vmax [km/s]
    v [km/s]
    0 0,0
    2.415 19,2
    10° 4.812 38,2
    15° 7.172 56,9
    20° 9.477 75,2
    25° 11.711 93,0
    30° 13.855 110,0
    35° 15.894 126,2
    40° 17.812 141,4
    45° 19.594 155,6
    50° 21.227 168,5
    55° 22.699 180,2
    60° 23.998 190,5
    65° 25.114 199,4
    70° 26.039 206,7
    75° 26.766 212,5
    80° 27.289 216,7
    85° 27.605 219,2
    90° 27.710 220,0

    Abschlussdiskussion

    Ganz anders als erwartet

    Nur nahe am galaktischen Zentrum dreht sich die Milchstraße wie ein Karussell. Je weiter außen Du sitzt, umso höher ist Deine Geschwindigkeit. In den Außenbereichen der Milchstraße bleibt die Geschwindigkeit konstant hoch. Auch unsere Sonne reist mit dieser gleichbleibenden hohen Geschwindigkeit um das Zentrum. Diese konstante Geschwindigkeit der Sterne und des interstellaren Gases in großen Entfernungen vom Zentrum ist äußerst bemerkenswert.

    Interpretation

    Die am weitesten in der Wissenschaft akzeptierte Deutung dieses Phänomens führt eine neue Form von Materie ein, die sogenannte Dunkle Materie. Eine Form der Materie, die nicht mit Lichtteilchen im Austausch steht, daher auch selbst nicht leuchtet und damit dunkel ist. Zudem muss die Dunkle Materie aus einer anderen Form von Materie gebildet werden als alles was wir im Universum direkt beobachten können. Dunkel sagt damit nicht nur aus, dass die Dunkle Materie nicht leuchtet, sondern auch, dass ihre Natur für uns im Dunkeln liegt. Weniger weit akzeptiert, dennoch in Übereinstimmung mit der Beobachtung von nahen Galaxien, ist die Theorie der modified newtonian dynamics (MOND). Diese Theorie geht davon aus, dass die lineare Beziehung F = m · a (Newtons Gesetz) in Bereichen mit sehr geringen Gravitationskräften seine Gültigkeit verliert. Hier wird angenommen, dass ein zusätzliches Kraftfeld wirkt. Ähnlich den virtuellen Teilchen, die ein Vakuum erfüllen. Somit thematisiert dieses einfache Experiment einige grundsätzliche Fragen der modernen Astrophysik. Aber das ist ein anderes Experiment...


    Wie geht es weiter?

    Angebote für Schulklassen und Kurse

    Im Anschluss an diesen Forschungsauftrag laden wir besonders interessierte Schulklassen und Kurse dazu ein, noch tiefer in die Materie einzusteigen. Wir freuen uns über eingereichte Erfahrungsberichte und Feedback zu diesem Forschungsauftrag. Dafür haben wir eine Kurzanleitung und weiterführende Informationen für Interessierte auf dieser Website veröffentlicht.

    Nach Möglichkeit und Kapazität vermittelt das Argelander-Institut für Astronomie gemeinsam mit diversen Partner*innen individuelle Angebote (z.B. Meet a Scientist) für einzelne Einreichungen, um die Faszination unseres Universums live zu erleben. Diese Follow-Up-Aktionen finden ab 2024 beispielsweise vor Ort an der Schule oder im Umfeld der Universität Bonn statt.

    Wo möchtest Du weiter forschen?

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